(Am 16. November 2015 auf einem anderen, inzwischen gelöschten Blog publiziert, hier für einen Verweis wg. Eisenmarkt republiziert. Der Text ist entstanden als Antwort auf die Schreibaufgabe “Ein kleiner Kölner Mythos des Alltags”, maximal 1 Seite, die Hanns-Josef Ortheil gestellt hat im Rahmen seiner Vorlesung “Literarisches Schreiben” im Wintersemester 2015/16 an der Kunsthochschule für Medien Köln. Als einzige meiner zahlreichen Einreichungen fand sie ein wenig Lob in den Augen des Meisters. Am 27. November 2015 meinte er: “Willy Millowitsch sitzt da. Das hat natürlich auch jemand aufgegriffen, hat ganz wunderbar mit der Figur gearbeitet, ich hab den Text jetzt aber nicht da.” Hat er zu mir geblickt? Ich meinte damals, es mir einzubilden, bin mir aber heute nicht mehr so sicher, zumal, wenn ich den Text jetzt wiederlese. Der Barbour-Shop im Hintergrund der Fotos war eine glückliche Fügung, da solche Jacken in Krachts Faserland prominent, das Ortheil in seiner Vorlesung am 13. November, da er auch die Aufgabe gestellt hat, so eingeordnet/-nordet hat: “Erweckungstexte. Z.B. Krachts Faserland. Auch Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970). Machte Mut, wieder zu erzählen. Beides sind auch große, bleibende Texte. Auch Goetz’ Irre. Große Texte, die andere in Bewegung versetzen. Th. Bernhard, ‘Literaturniedermacher’. Heerscharen von Nachahmern. Wird es Eingang in Kanon finden? Schwer zu beantworten.” Ich zitiere aus meinen Aufzeichnungen, nicht Ortheils Rede.)
Samstag, 14.11.2015
Um halb neun auf dem menschenleeren Eisenmarkt. Einige feuchte Stellen hier und da und es riecht nach Urin. Einzig ein Bierfahrer belädt seinen Transporter.

Vor nicht allzu langer Zeit ist das Bronzedenkmal weggezogen aufs Gertrudenplätzchen. Dort sitzt Willy auf einer Seite der Bank, den Arm auf der Lehne, und lädt einen zweiten Körper ein, sich in die Leerstelle zu schmiegen und ein Selfie zu knipsen.

Bis zehn Uhr aber sah ich niemand in solcher Pose. Zu früh, vielleicht auch zu frisch, das Wetter nun endlich herbstlich. Doch aus der Erinnerung lässt sich ein Sommertag hervorholen, an dem solches geschehen.
Kann ich erkennen, ob die Touris den Dargestellten erkennen, so sie ihn überhaupt kennen? Keinen Namen trägt die Gestalt, nur der Stifter Harry Owens vom Traumtheater Salome ist genannt. Höchstens aus dem Platznamen nun, nachdem der alte Ort hinter dem Hotel drei Häuser von Brinkmann entfernt aufgegeben worden ist, kann Tourist auf den Menschen schließen. Sofern er den Gemeinten nicht erkennt am Schnäuzer, den großen Augen hinter den Brillengläsern, der Frisur.

Selbst nie in seinem Theater auf der Aachener Straße gewesen, nie ihn auf der Bühne gesehen, nur im Fernsehen. Fünf Jahre nach seinem Tod die Exequien für seine Witwe Gerda besucht, weil die Exgeliebte mit einer Tochter der Familie in der Schule befreundet war. Nicht Mariele, bekannt aus Funk und Fernsehen, sondern der Theaterleiterin Katarina Eisenlohr.
Bei dieser Veranstaltung im Dom bezeichnete der Prediger ihn als Inkarnation des himmlischen Jerusalems. Hö? Wie kann kalter Stein lebendiges Fleisch sein? Die intellektuelle Unredlichkeit schreckte mich einmal mehr ab von der Priesterkaste, diesen Männern des Worts, die dann doch so schludrig damit umgehen. Männer wirklichen Geists, die Worte wägen – ich dachte da an Benedikt XVI. z.B. – würden das nicht tun, dachte ich.