Eine erotische Begegnung im Bus (eine Serie von Tweets)

Im Linienbus, der wider die Onlineauskunft kam, sprach mich eine Nachbarin an, mit der ich vor vielen, vielen Jahren mal Zoff hatte. Wenigstens fragte sie höflich, ob sie mich ansprechen dürfe, und ich bejahte. 

Auf gleiche Weise wie früher an der Straßenbahnhaltestelle, als ich es mir schließlich verbeten hatte, was unseren Krach ausmachte, sprach sie allein von Katastrophen, damals dem gemeinen Arbeitsamt, diesmal ihrem gepflegten Vater, dem Tod ihrer Mutter vor 30 Jahren, schlagenden Männern, versagenden Psychologen, es wollte und wollte kein Ende nehmen.

Sie ist nicht dumm, das schätze ich an ihr, Germanistin, erwähnte Desktop Publishing, ohne es als DTP abzukürzen, und Adobe PageMaker (so die Eigenschreibweise). Ich blickte in ihre Augen mit den eigentümlich geschnittenen Lidern, eigentlich kaum welchen, und wachen Äpfeln, versenkte mich oder versuchte es zumindest – ihre Mimik verbarg mir ihre Maske, so wie meine die meine, was mir ganz recht war, da ich mich zerknautscht fühlte.

Nur meine Augen glitten mit zunehmender Zeit zunehmend ab, um mal was anderes zu sehen, vorüberfahrende Fahrzeuge, Gebäude… Ich fürchte, sie bemerkte meine Unaufmerksamkeit.  Zuerst hatte ich eine Haltestelle im Blick, an der sie sicherlich aussteigen würde, da sie eine Einkaufstasche, so wirkte sie mir, mit sich führte. 

Die verging und wir befuhren eine Schleife, da beklagte sie, dass sie ihre Haltestelle gerade verpasst hätte. Es entspann sich eine kleine Diskussion, ob der Bus vor der Ampel noch mal halten würde. Wir waren uns beide einig, dass nicht. Also kündigte sie ihre nächste Ausstiegshaltestelle an. 

Aber auch die verging, ohne dass ich drauf acht hatte. Sie offenbar auch nicht, froh, mich zutexten zu können. Ich fing an, den Verdacht zu hegen, dass sie möglichst lange in diesem Bus mein Ohr in ihrer Hand haben wollte, koste es, was es wolle. So kannte ich sie schließlich auch.

Dass sie ein Psycho ist, weiß ich schon. Diesen Sommer, nein, vorigen kam sie mit dem Fahrrad vorbei an mir und der “schönen Nachbarin”, wie ich sie anonymisierend genannt habe, hielt an und fing an, sie zu beschimpfen: Wie könne sie es wagen angesichts ihres kranken Ehemanns … und erzählte Dinge, die nicht mit denen übereinstimmen, die ebendie schöne Nachbarin mir dargelegt hatte. 

Mich traf es auch: Warum ich so dämlich feixen täte. Erst ärgert man sich, nachdem man Angst gehabt hat, dann vermutet man Eifersucht. Dabei ist unser Bruch wirklich Jahrzehnte her. Heute fragte sie mich nach meinem Alter. Ich antwortete ehrlich (vertat mich nur um ein Jahr), da eröffnete sie ihres und es waren sex Jahre Unterschied. 

Ohne, dass ich und vielleicht auch sie das so meinten, wie ich es hier geschrieben, sprach sie nicht wenig später das Wort Sexualität aus (ein Umstand, der allein mich für sie einnimmt, reden doch heutige Studierende und sogar Profx nur noch von Uni, sich Silben sparend). Männer wollten nur das eine, versprach sie mir – sorry, ich meine, sprach sie zu mir. 

Irgendwas mit, dass ich nie eine Freundin gehabt hätte, damit hatte sie unser heutiges Gespräch fast eröffnet. Einfühlsam meinte sie, ich litte darunter, und empfahl mir Selbsthilfegruppen, auch welche mit nur Männern. Ich meinte, ich leidete nicht darunter und erinnerte mich nicht, ihr das vor Jahrzehnten mal gesagt zu haben – lobte aber hier, oder es war an anderer Stelle, ihr phänomenales (aber in weniger überschwänglichem Wort) Gedächtnis.

Eine zwischenzeitliche, die mir im Augenblick wirklich ein wenig fehlt im Sinne von Sehnen, schönen Brüsten, gutem Kochen, lustigem Humor und frecher Schnauze, nicht zuletzt Bildung, und mit der ich ein schönes Weihnachten verbracht habe mit einem Film mit einem Komiker, dessen Namen ich nicht mehr erinnere, und vor wievielen Jahren, weiß ich nicht mehr, erwähnte ich freilich nicht. 

Als ich sie fragte, ob sie Weihnachten allein verbringen müsse (wir kamen von Corona aus drauf), meinte sie ja. Da habe ich ein wenig Lust bekommen, Weihnachten bei ihr zu verbringen. Weit entfernt wohnt sie ja nicht, wenn wir auch keine Kontaktiermöglichkeiten besitzen (meine damalige Flamme wohnte weit, weit entfernt). Weder weiß ich, in welcher Wohnung genau sie wohnt im Nachbarhaus, geschweige denn ihren Namen, noch hoffentlich sie die meinigen Daten. 

Als der Bus an der Endhaltestelle anhielt, meinte sie, sie müsse sich sputen. Einen Termin zu einer Zahnwurzelbehandlung (ich hörte nicht genau zu) wollte sie wahrnehmen und das wurde knapp. Ich sah sie davonhoppeln, erleichtert, dass sich mein Weg von ihr trennte. Dieses Verhalten oder besser gesagt Empfinden war mir vertraut von früher. Vertrauen ist vielleicht das Schlüsselwort.

Die Kommunikation durch die Masken hindurch war teils störend, teils aber auch entlastend, kam mir in der Situation vor, weil ich scharfe Falten befürchtete von meinen Nasenflügeln zu einem Punkt knapp außerhalb der Mundwinkel. Missmutigen Mund sowieso. (“Zieh nicht so ein Gesicht!”, sagten sie in meiner Jugend.) Dass meine Augen abglitten von den ihren, wenn sie begann mich zu langweilen, daran konnte die Maske auch nichts ändern. 

Sie trug zum Virenschutz Handschuhe, zwei weiße, ich keine. Meine Hände schossen manchmal, aber selten vor, ich weiß auch nicht mehr warum, um zu gestikulieren oder mich an einer gelben Haltestange festzuhalten. Sie schien meine solchen Vorstöße fasziniert zu beobachten.

Jetzt ist die Sache in der Schwebe. Ich bekenne, ich würde den Heiligen Abend gern in ihrer Stube verbringen (so geschmacklos sie sich auch kleidet) und wäre für alles offen, so doof das klingt. Zum Abschied meinte sie, sie würde mich gern bei unserer nächsten Begegnung wieder ansprechen, zeigte mich bereit dafür. 

Diese Spannung, ob noch was draus wird, das macht Erotik aus in meinen vielleicht romantischen, viellaicht auch nicht, Augen. 

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