Ein Kölner Zwickel

In Peter Handkes Apotheker von Taxham (eigentlich: In einer stillen Nacht ging ich aus meinem dunklen Haus, aber für mich in Anlehnung an den Landpfarrer von Wakefield so umbenannt) feiert der Zwickel Urständ. Der Salzburger Ortsteil Taxham liege im Zwickel zwischen Autobahn, Eisenbahn und Flughafenpisten. Ein zweiter Zwickel der Landkeil (H.: “oder »Spitz«”) vor der Einmündung der Saalach in die Salzach. Dritte Zwickel und Mikrozwickel unbewirtschaftete Inselchen auf dem Gebiet der spanischen Stadt Zaragoza in Form von spitzen und immer spitzeren und kleineren Dreiecken: Tupfer von Wildnis. 

Vor acht Tagen in Neubrück musste ich daran denken, als ich die Grenze dieses Kölner Stadtteils dort erreichte, wo die Rösrather Straße in stumpfem Winkel die Bundesautobahn 3 unterquert. Für einen Zwickel ist dieser Winkel zu groß, deutlich über neunzig Grad, vielleicht 140 sogar. Aber das Auslaufen der Hochhaussiedlung ins Gebüsch auf dem Autobahndamm und zur Ausfallstraße hin mit Parkplätzen, Fußpfaden und Müll rief mir den Handkeschen Zwickel ins Gemüt. 

Nun beim Planen einer Tour durch den übernächsten Stadtteil Neustadt-Nord stoße ich auf der Karte auf ein Gebiet, das mir nicht ganz geheuer ist. Es handelt sich um ein kleines, bewaldetes zwischen Innerer Kanalstraße und Eisenbahnsträngen, nördlich des Venloer Walls. Stadteinwärts der Eisenbahnbegrenzung liegt der Mediapark, ein mir bekanntes Gebiet. 2005 habe ich dort Michel Houellebecq zugehört, als sein Roman Die Möglichkeit einer Insel vorgestellt wurde. Im Hintergrund zog langsam ein beleuchteter Zug über besagte Eisenbahntrasse, von uns im Saal durch die große Glasfassade im natürlichen Dunkel draußen zu beobachten. Dahinter muss das mich interessierende Gebiet also liegen. Ein Gebiet, das ich Zwickel nennen möchte, weil es auf vier Seiten von Verkehrsadern begrenzt ist (nun ja, welches städtische Areal ist das nicht?), aber auf dreien für Fußgänger unüberwindbar, und zudem eine längliche, gequetschte Form hat. 

Die Grimms haben Zwickel unter anderem als keilförmiges Stück Land und führen Seume an auf seinem Weg von Triest über die Berge nach Venedig: “An dem Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluss aus der Erde, der vermutlich auch Höhlen bildet.” Bei Handke ist der Zwickel auch eher dreieckig, spitz, ein immer spitzeres Dreieck bis zuletzt fast nur noch einem bloßen Strich, so klein ist der Winkel, so der Übertreibungskünstler und Steigererer Handke. In Taxham ist der Winkel zwischen Eisen- und Autobahn wenigstens ein wenig kleiner als ein rechter, insofern mag man Taxhams Nordende spitz nennen. Da für mich in Zwickel aber zwicken und eingezwängt sein mitklingt, mag es für das Kölner Gebiet hinter dem Mediapark durchgehen, auch wenn es, im Grundriss ein Vieleck mit manchen sich rundenden Seiten, eigentlich nirgendwo einen spitzen Winkel aufweist. Als Spaziergänger wird man ausweglos darin eingeschlossen sein und kann nichts als den Rückweg antreten. 

Der Stadtplan zeigt eine Schraffur wie Wald dort an und nicht wenige Fußwege. Aus dem Zugfenster heraus müsste ich diesen Zwickel kennen. Hätte ich auf meinen häufigen Fahrten nach Bonn dort einmal rechts aus dem Fenster geschaut, müssten seine Bäume an mir vorbeigezogen sein. Und in meiner Erinnerung erscheinen Bilder, die vage sind, von Ästen auf einer Anhöhe, mal belaubt, mal kahl, je nach Saison, aber ich kann sie nicht fixieren, meine, einordnen nach jener Landmarke und vor dieser. Den Stadtgarten, dessen nördliches Ende der Zwickel bildet, kenne ich wohl, bin aber vielleicht niemals über den Fernsehturm hinausgelangt.

Deshalb gespannt und zugleich ängstlich. 

*

Zwei Tage später war ich da. Und es war ganz anders. Erstens waren viele Leute unterwegs auf dem Gebiet da. Als ich am Eingang vor roter Ampel stand, jonglierten im Wechsel zwei junge Männer vor den wartenden Autos. Ich war nicht der einzige, der über die Ampel wollte: Joggende, Fahrradfahrende, Kinderwägen Schiebende, spazierende Paare… Ausgeschilderte Radwege zu anderen Stadtteilen führten hinein in den “Zwickel”, der seine Bezeichnung damit verlieren sollte. Ein Weg stieg neben einer Wiese an auf den bewaldeten Hügel. Ich wählte einen Umweg, der unbevölkert war. Er führte leicht hangauf um den Hügel herum zur Straße zurück und dann um so steiler empor. Nun lagen die Gleise rechts und die Stahlkonstruktion einer recht neu wirkenden Fußgängerbrücke rückte ins Blickfeld. Sie führt jenseits der Schienen in den Mediapark und man kann an ihrem Ende eine Rampe nach links in den August-Sander-Park wie nach rechts zur Erftstraße hinab nehmen, auf der wenige Tage später ein Porsche Cayenne verunglücken sollte. Die Brücke wurde begangen. Diesseits schlich mir auf dem Spazierweg eine Bullenwanne entgegen, die dann langsam über die Brücke rollte. 

Im Zwickel war recht viel los. Menschen der vorgenannten Arten erklommen den Hügel, kamen einem oben entgegen, dehnten ihre Muskulaturen, sprachen im Keuchen miteinander oder genossen als Paar den schönen Blick op d’r Dom. Mir persönlich wäre es lieber gewesen, es wäre leerer gewesen, so aber wurde man ständig bemerkt und mit Blicken taxiert. Kein Wegabschnitt gehörte einem ganz allein. Doch als ich einen Pilz erreichte, war der Mann, der zuvor von dort ausgeschaut hatte nach der Stadt hin, verschwunden und ich konnte die Eisenbahngleise unten in Ruhe studieren und die “relativ” neuen Gebäude des Mediaparks. Ich versuchte, das KOMED auszumachen, in der Mitte September vor 16 Jahren Houellebecq gelesen hatte, aber es war doch nicht das gläsernste Gebäude, sondern dasjenige rechts daneben mit dickem steinernem Rahmen um die Fensterfläche, durch die das Saalmobiliar zu erkennen war. Am Mittag des Tages hatte H. in der Bahnhofsbuchhandlung Ludwig signiert. Dieses Event hatte ich auch besucht, wenn ich auch sein Werk weder mittags noch abends kaufte und also nichts zum Signieren hatte. Als ich den Bahnhof verließ, sah ich H. auf dem Vorplatz stehen und mit seinem Hund Clément an der Leine eine Kippe rauchen. Ich nahm eine Fotografie davon, die mir anschließend gut gefiel wegen des großen Abstands zu den wenigen, eilenden anderen Passagieren und dem geringeren, aber doch noch einem, zwischen Herrchen und geliebtem Hund. Das Foto ging verloren, es muss noch auf irgendeiner Festplatte liegen, die ich aber nicht mehr angeschlossen kriege. Vor einiger Zeit, vor dem Erscheinen von Sérotonine, habe ich es noch einmal versucht, einzig dieses Fotos wegen. H. hat die Abendveranstaltung im KOMED ziemlich abgeklärt über sich ergehen lassen. Na klar, er verstand ja kein Wort. Eine lange Signierschlange. Ich überlegte, ob ich vor Ort den teuren Hardcoverband erwerben und mir signieren lassen sollte, und entschied mich dagegen. Aber wenige Tage später habe ich ihn mir doch gekauft. In der Ferne konnte man tatsächlich den Dom sehen und auch andere Landmarken lagen in der klaren Luft zutage. 

Auch zur Hornstraße hin führt eine Brücke aus dem Gebiet heraus. Diese gern von Radfahrern genommen. Von wegen eingesperrt und keine Möglichkeit als zurück. Herkulesberg heißt der Zwickel offenbar.

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Krachts Geld in der Plastiktüte in Eurotrash

Zunächst Rezensionen gelesen. Praktisch jeder Rezensierende gibt den Sachverhalt wieder, dass von einer Bank Bargeld abgeholt und in einer Plastiktüte mit sich geführt werde. Ich fragte mich, ob oder inwiefern das Bargeld die Plastiktüte fülle (Christian Metz: “Mit einer Plastiktüte voller Geld”). Oder: Wieviel Raum nehmen 600 Geldscheine ein? 


Der Tagesanzeiger schrieb zur Einführung der neunten Serie, dass eine Million Franken in Tausendernoten einen Stapel von zehn Zentimeter Höhe ergebe. Und Wikipedia weiß, dass ein Tausendfrankenschein 15,8 mal 7 cm misst. Demnach wäre ein Bündel von sechshundert Scheinen sechs Zentimeter dick und hätte ein Volumen von 664 Kubikzentimetern. Das ist soviel wie ein dickes Taschenbuch. Denn messe ich mein Suhrkamp-Taschenbuch Mein Jahr in der Niemandsbucht aus, hat das 10,8 x 17,6 x 3,2, das macht 608 Kubikzentimeter. Knausgårds Leben bei btb hat schon 11,8 x 18,7 x 4,1 = 905 Kubikzentimeter. Also ein eher kleines Volumen, das eine ganze Plastiktüte kaum füllt. Es sei denn, es wäre eine kleine, wie sie Buchhandlungen, Apotheken oder Drogeriemärkte früher ausgegeben haben.

 
Aber ad fontes. “Der Mann reichte ihr eine Tüte, und sie leerte das Bündel der sechshundert Eintausendfrankenscheine hinein.” heißt es in Eurotrash. Ein Bündel leeren heißt nicht ein Bündel hineinlegen. Die Banderolen oder das Gummiband bleibt außen vor, die Mutter reißt sie offenbar auf oder streift es ab und gibt die Scheine lose in die Tüte. (Sprache beschreibt Wirklichkeit. Und die Wirklichkeit dahinter versuche ich Pedant mir vorzustellen.) Später kramen der Erzähler wie seine Mutter Scheine aus der Tüte. Das passt zu losen Scheinen. Lose, vielleicht leicht zerknüllt und nicht geschichtet, nehmen die Banknoten freilich mehr Raum ein als die gepressten 664 ccm. Ich sollte es einmal praktisch ausprobieren, aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Selbst wenn ich Fünfeuronoten nähme, die mit 12 x 6,2 cm nur zwei Drittel eines Tausendfrankenscheins groß sind in der Fläche, wären 600 x 5 = 3000 Euro nötig, um die Handlung nachzuspielen. Aber mit genug Lust, ich meine: Luft dazwischen, plustert sich das Volumen, wenn auch nicht das Gewicht, sicherlich leicht auf sechs Taschenbücher auf und die Plastiktüte im A4plus-Format füllt sich. Hier berichtet eine Romanfigur es einer anderen selbst: “Sie hätten auch eine Plastiktüte voller Geld dabei, und ein Taxi wartete auf sie neben dem Gastgarten.” Zuvor hatte es geheißen: “Meine Mutter sammelte die Scheine ein und schob sie wieder in die Tüte.” Ja, sie sind unbanderoliert da drin. Auf einem Berg handelt der Erzähler so: “Ich nahm also etwas Geld aus der Plastiktüte mit der Wodkaflasche und den Tabletten, eine ordentliche Handvoll nahm ich heraus […] Es waren vielleicht sechzig- oder achtzigtausend Franken. Ich begann, die Geldscheine zu ordnen und daraus vor ihnen einen Stapel zu schichten, der nicht sehr dick war, vielleicht nur zwei Zentimeter oder so”. Mit den vom Tagesanzeiger angegebenen zehn Zentimern für eine Million, also sechs für Sechshunderttausend, erhellt sich, dass die Scheine, die der Erzähler aus der Tüte nimmt (eine Handvoll bedeutet, dass sie lose drin liegen), etwas zerknittert sind und nicht mehr bankfrisch, sonst wäre der Stapel weniger als halb so dick. Wobei er nicht gepresst wird, etwa durch eine Gummiband, auf dem Tisch zwischen den vier Personen, so dass die zusätzliche Höhe nicht verwundert oder auf eine dolle Knitterung hinweist, sondern ganz natürlich ist.


Zugegeben, nach den Rezensionen und meiner Rechnung habe ich Fantasien entwickelt. Habe Kracht verdächtigt, er habe Rezensierende in eine Falle locken wollen. Etwa so, dass sie keine sechshundert Geldscheine je in der Hand gehabt hätten, und also deren Volumen gar nicht abschätzen könnten. Hätte einen offenkundigen Fehler in seinem Roman begangen, gespannt, ob ihm jemand draufkommt. Ok, das war zuviel schmutzige Fantasie.

Spulrezensionen, ein angespültes Stilmittel

Lange Zeit bin ich früh eingeschlafen. Aber als ich gestern, am 23. Dezember, einen Tag vor kontaktarmer Heiliger Nacht und anstehenden Weihnachtstagen, las: 

“Aber zurück auf null:” (Niklas Bender am 23. Dezember 2020)

da erinnerte ich mich, dieses Stilmittel des Zurückspulens, wie früher von Kassettenrekordern her gekannt, zuletzt häufiger angetroffen zu haben. Ob mehr in Buchbesprechungen oder Tatortrezensionen, weiß ich nicht mehr so genau, und die erinnerten Vorkommen kann ich leider auch nicht mehr auffinden.

Eine prophylaktische Suche liefert provisorisch folgende Beispiele des Spulens:

“Aber von Anfang an:” (Paula Pfoser am 13. September 2020)
“Aber von Anfang an:” (Julian Miller am 8. Juni 2020)
“Aber zurück auf Anfang.” (Karina Krawczyk am 5. März 2020)

Und Niklas Bender wieder schon am 1. Mai 2017: “Aber von Beginn an:”

Man sollte dieses Stilmittel des Spulens einmal genauer untersuchen in seiner Genese und Durchseuchung der Rezensionspraxis.

*

Claus Christian Malzahn am 30. Januar 2021: “Fazit der Veranstaltung: Es wurde ein ruhiger, informativer Abend. Aber der Reihe nach.”

Michael Radunski am 8. Februar 2021: “Aber dazu später mehr.”

mfu/sid/dpa am 16. Februar 2021: “Aber der Reihe nach.”

Michael Radunski wieder am 11. März 2021: “Doch dazu später mehr.”

Nahtstellen im Kater Murr

Im Vorwort erläutert der Herausgeber, dass Murr ein ihm zu Händen seiendes Buch zerriss und als Schreibunterlage und Löschpapier verwendete. Diese Blätter verblieben in seinem Manuskript und wurden versehentlich auch gesetzt. Die 34 Quellenwechsel sind markiert mit M. f. f. für Murr fährt fort und Mak. Bl. für Makulaturblatt. 

Murr fährt wirklich fort, die Anschlüsse stimmen. Die Makulaturblätter indes sind herausgerissen und keine Anschlüsse erkennbar. Im Einzelnen:

Murr lieb

Position 144 von 6453
Doch ich muß rücksichts meiner – (Mak. Bl.) “,- und erinnern Sie sich, gnädigster Herr, denn nicht des großen Sturms, der dem Advokaten, als er zur Nachtzeit über den Pontneuf wandelte, den Hut vom Kopfe herunter in die Seine warf?

Position 350
Kreisler lachte hell auf, indem er rief: “Nun so komm denn, du kluger, artiger, witziger, poetischer Kater Murr, laß uns-” (M. f. f.) ersten Erziehung, meiner Jugendmonate überhaupt noch vieles anführen.

Position 449
Ich komme jetzt auf die – (Mak. Bl.) – zum besseren Verständnis doch nötig sein, dir, geneigter Leser, das ganze Verhältnis der Dinge klar und deutlich auseinanderzusetzen.

Position 571
fand sich auch Meister Abraham wieder ein, und in der Tat, zu gelegenerer Zeit hätte er gar nicht kommen können. Denn außerdem daß – (M. f. f.) – merkwürdige Begebenheit, die, um mich des gewöhnlichen Ausdrucks geistreicher Biographen zu bedienen, einen Abschnitt in meinem Leben machte.

Position 644
So schließe ich diese Episode meines Lebens, die – (Mak. Bl.) – nichts verdrießlicher für einen Historiographen oder Biographen, als wenn er, wie auf einem wilden Füllen reitend, hin und her sprengen muß über Stock und Stein, über Äcker und Wiesen, immer nach gebahnten Wegen trachtend, niemals sie erreichend.

Position 808
“Mit zwei Worten”, sprach die Benzon, “erkläre ich alles. Als ich mich vor fünf Jahren in -” (M. f. f.) – mich überzeugte, daß in einem echten, tiefen Dichtergemüt auch kindliche Tugend wohnt und Mitleid mit dem Bedrängnis der Genossen.

Position 917
Denn ehe ich mir’s versah, sprang – (Mak. Bl.) “Und immer werden Sie”, erwiderte die Benzon, “mit dieser phantastischen Überspanntheit, mit dieser herzzerschneidenden Ironie nichts anstiften als Unruhe – Verwirrung – völlige Dissonanz aller konventionellen Verhältnisse, wie sie nun einmal bestehen.”

Position 1072
Die Benzon stand auf, nahm den Kapellmeister bei der Hand und führte ihn Julien entgegen, indem sie sprach: “Nun mein Kind, da ist der seltsame -” (M. f. f.) – der junge Ponto los auf mein neuestes Manuskript, das neben mir lag, faßte es, ehe ich’s verhindern konnten, zwischen die Zähne und rannte damit spornstreichs auf und davon.

Position 1235
Und den Edlen brav und rein, / Ihn zu finden, den ich meine, / Klettr’ ich über Mau’r und Zäune, / Aufgesucht will Freundschaft sein. (Mak. Bl.) – gerade den Abend in solch heitrer gemütlicher Stimmung, wie man sie an ihm nicht verspürt hatte seit gar geraumer Zeit.

Hier fährt die Naht durch keinen Satz. Der Grund dafür ist, dass der erste Abschnitt von Murrs Lebensansichten hier endet. Mit dem zweiten Abschnitt begann der Kater ein neues Blatt.

Murr liest

Position 1506
Recht habt Ihr indessen wohl, daß, was Eure Knabenjahre betrifft, Euer Stern besonders waltete, und -” (M. f. f.) “Närrisch genug und zugleich ungemein merkwürdig wär’ es doch”, sprach eines Tages mein Meister zu sich selbst, “wenn der kleine graue Mann dort unter dem Ofen wirklich die Eigenschaften besitzen sollte, die der Professor ihm andichten will!

Position 1622
Der junge Ponto hüpfte fröhlich voraus, ich folgte niedergeschlagen, ganz zerknirscht über seine Reden, die mir in meiner hungrigen Stimmung viel Wahres zu enthalten schienen. Doch wie erschrak ich als – (Mak. Bl.) – für den Herausgeber dieser Blätter das angenehmste Ereignis von der Welt, daß er das ganze merkwürdige Gespräch Kreislers mit dem kleinen Geheimen Rath brühwarm wieder erfuhr.

Position 1750 
Merkwürdigerweise trug es sich zu, daß die Benzon eben zu der Zeit, als – (M. f. f.) – Ponto gerade zu auf das Brot und Würste feilhaltende Mädchen loshüpfte, die mich, da ich freundlich bei ihr zulangte, beinahe totgeschlagen.

Position 1904
Ponto sprang schnell vorwärts, ich aber in der Angst kletterte eine hohe Leiter hinauf, die an ein Haus gelehnt, und befand mich bald auf dem Dache in voller Sicherheit. Plötzlich kam mir – (Mak. Bl.) “- ganz unvermutet über den Hals”, sprach Fürst Irenäus, “ohne Anfrage des Hofmarschalls, ohne Vorwort des diensttuenden Kammerherrn, beinahe – ich sag’ Euch das unter uns, Meister Abraham, bringt es nicht etwa unter die Leute – beinahe unangemeldet – keine Liverei in den Vorzimmern.

Position 2095
Die Benzon trat ihm in den Weg. “Ich weiß nicht, sprach sie, welche sonderbare Verstimmung heute mir -” (M. f. f.) alles so bekannt, so heimisch vor, ein süßes Aroma, selbst wußt’ ich nicht, von welchen vortrefflichen Braten, wallte in bläulichen Wolken über die Dächer daher, und wie aus weiter – weiter Ferne, im Säuseln des Abendwindes, lispelten holde Stimmen: »Murr, mein Geliebter! wo weiltest du so lange?«

Position 2259
unnütze Händel anfangen und sie mit Gewalt nötigen zu den unartigsten Äußerungen des Zorns, als da ist Prusten – Kratzen – Beißen etc. etc. Wie höchst fatal müßt’ es – (Mak. Bl.) – nur der kleinen rotwangigen Hofdame gelten, die Kreisler bei der Benzon gesehen.

Position 2654
Mitternacht ist heran, draußen, Ihr wißt es, hausen böse Doppelgänger, und allerlei anderes bedrohliches Zeug könnt’ uns in den Kram pfuschen. Bleibt bei mir! – Toll, ganz toll müßt’ es ja -” (M. f. f.) aber sein, wenn dergleichen Unschicklichkeiten vorfielen an heiliger Stätte – ich meine im Auditorio.

Hier passen die Enden der beiden Quellen syntaktisch einmal zusammen und man könnte boshafterweise das Murr fährt fort streichen.

Position 2801
Wie schön sie war! Silbern glänzte ihr weißer Pelz im Mondschein, in sanftem schmachtendem Feuer funkelten die grünen Äuglein. “Du – (Mak. Bl.) – hättest, geliebter Leser, das freilich schon etwas früher erfahren können, aber der Himmel gebe, daß ich nicht noch mehr querfeldein springen muß, als es bis jetzt schon geschehen.

Wieder – fast, bis auf das Anführungszeichen.

Position 3021
Es ist nun an der Zeit, daß jene verhängnisvolle Frage des Biographen: “Du – (M. f. f.) liebst mich also, holde Miesmies?

Wieder.

Position 3117
“Auch ich war in Arkadien”, rief ich und legte mich auf die schönen Künste und Wissenschaften eifriger als jemals. (Mak. Bl.) – “Euch”, sprach Kreisler, “ja, ich sag’ es Euch aus tiefer Seele, diese Ruhe scheint mir bedrohlicher als der wütendste Sturm.

Wieder erlaubt kein Abriss mitten im Satz einfachst zu entscheiden, ob die Teile aneinander passen. Grund: Es endet der zweite Abschnitt.

Murr liebt

Position 3235
fand er Kreislers Hut, an dem blutige Spuren befindlich. Er selbst war und blieb verschwunden. – Man – (M. f. f.) Sehnsucht, heißes Verlangen erfüllt die Brust, aber hat man endlich das gewonnen, nach dem man rang mit tausend Not und Sorgen, so erstarrt jenes Verlangen alsbald zur todkalten Gleichgültigkeit, und man wirft das errungene Gut von sich wie ein abgenutztes Spielzeug.

Positon 3319
Wollte Ihr indessen zur Zeit mit einigen Grundzügen eines Katzphilisters vorliebnehmen, so kann – (Mak. Bl.) – gar seltsames Schauspiel. In der Mitte des Zimmers stand Prinzessin Hedwiga; ihr Antlitz war leichenblaß, todstarr ihr Blick.

Position 3567
Ein starkes Geräusch vom Schlosse her unterbrach die Benzon. Meister Abraham erwachte aus Träumen, das Geräusch – (M. f. f.) – ich folgendes beibringen. Ein Katzphilister beginnt, ist er auch noch so durstig, die Schüssel Milch vom Rande rund umher aufzulecken, damit er sich nicht Schnauze und Bart bemilche und anständig bleibe, denn der Anstand gilt ihm mehr als der Durst.

Position 3688
Der treue Muzius, meinen Zustand bemerkend, nahm sich meiner an und brachte mich glücklich durch die Dachluke nach Hause. Wüste im Kopf, wie ich mich noch niemals gefühlt, konnte ich lange nicht – (Mak. Bl.) — ebenso gut gewußt, als die scharfsinnige Frau Benzon, aber daß ich gerade heute, eben jetzt von dir Nachricht erhalten sollte, du treue Seele, das hat mein Herz nicht geahnt.”

Position 3963
Stärker und stärker hörte Julia die Prinzessin atmen, doch wie erstaunte sie, als – (M. f. f.) – einschlafen. Hin und her wälzte ich mich auf meinem Lager; ich versuchte alle nur mögliche Stellungen.

Position 4115
Von nun an führte ich ein köstliches Burschenleben und übersah es gern, daß ich dabei die besten Haare aus dem Pelze verlor. – Doch gibt es hienieden ein Glück, das von Dauer sein sollte? Lauert bei jeder Freude, die man genießt, nicht schon der – (Mak. Bl.) – hohen und steilen Hügel, im flachen Lande hätte er für einen Berg gegolten, gelegen.

Position 4350
Die Brüder traten in den Korridor und – (M. f. f.) – böse Feind und sucht den guten Bissen einem ehrlichen harmlosen Kater recht vor dem Maule wegzuschnappen?

Position 4490
Da erwiderte (ich erkannte ihn sogleich an der Stimme) der wackre Senior Puff: “Ich bin es, trauter Bruder Murr, und habe dir eine höchst betrübte Nachricht zu bringen!” – O Himmel, was – (Mak. Bl.) “- großes Unrecht getan, meine liebe süße Freundin. – Nein! mehr bist du mir als das, meine treue Schwester! Ich habe dich nicht genug geliebt, dir nicht genug vertraut.

Position 4845
Wenige Fragen der Benzon reichten hin, um zu erfahren, daß der Prinz durch den alten für so treu gehaltenen Kastellan – (M. f. f.) – mußt ich erfahren! – Muzius mein treuer Freund, mein herziger Bruder war an den Folgen der bösen Verwundung am Hinterbeine Todes verblichen.

Position 5052
Ich sehe dieses Trauerfest für den Wendepunkt an, in dem sich meine Lehrmonate schlossen und ich eintrat in einen andern Kreis des Lebens. (Mak. Bl.) – Kreisler veranlaßt, sich in aller Frühe in die Gemächer des Abts zu begeben.

Hier endet der dritte Abschnitt von Murrs Bekenntnissen. 

Murr Biest

Position 5242
Er rannte hinauf in sein Zimmer, er holte das kleine Bildnis hervor, das ihm Meister Abraham gegeben; kein Zweifel! Er erblickte denselben Jüngling, nur jünger, frischer und in Offizieruniform abgebildet. – Als nun – (M. f. f.) Hinzmanns rührender Sermon, das Trauermahl, die schöne Mina, Miesmies Wiederfinden, der Tanz, das alles hatte in meiner Brust einen Zwiespalt der widersprechendsten Gefühle erregt, so daß ich wie man im gewöhnlichen Leben gemeinhin sagt, mich eigentlich gar nicht zu lassen wußte und in einer gewissen trostlosen Bangigkeit des Gemüts wünschte, ich läge im Keller in der Grube wie Freund Muzius.

Position 5650
Ich sollte nun, um alle Pflichten eines tüchtigen Selbstbiographen zu erfüllen, wiederum meinen Seelenzustand beschreiben und könnte das nicht besser tun, als mittelst einiger sublimer Verse, die ich seit einiger Zeit so recht, wie man zu sagen pflegt, aus dem Pelzärmel schüttle. Ich will – (Mak. Bl.) “– mit diesem einfältigen armseligen Spielwerk den besten Teil meines Lebens vergeudet. – Und nun jammerst du alter Tor und klagst das Geschick an, dem du vermessen Trotz botest!

Position 6011
ohne weitere Umschweife, daß deine Mutter nichts Geringeres fest in ihrem Sinn beschlossen hat, als dich -” (M. f. f.) – es indessen lieber bleiben lassen. – Katerjüngling, sei bescheiden wie ich und nicht gleich überall bei der Hand mit deinen Versen, wenn die schlichte ehrliche Prosa hinreicht, deine Gedanken auszuspinnen. 

Position 6160
Mein Meister mußte verreisen und fand es für gut, mich auf die Zeit seinem Freunde, dem Kapellmeister Johannes Kreisler, in die Kost zu geben. Da mit dieser Veränderung meines Aufenthalts eine neue Periode meines Lebens anfängt, so schließe ich die jetzige, aus der du, o Katerjüngling! so manche gute Lehre für deine Zukunft entnommen haben wirst. – (Mak. Bl.) — als schlügen entfernte dumpfe Töne an sein Ohr und er höre die Mönche durch die Gänge schreiten. Als Kreisler sich völlig aus dem Schlaf emporraffte, gewahrte er denn auch aus seinem Fenster, daß die Kirche erleuchtet, und vernahm den murmelnden Gesang des Chors.

Das letzte Makulaturblatt endet wiederum abgerissen:

So kurz und inhaltsreich war dies Brieflein des alten Meisters, daß –

So ist man versucht, die Makulaturblätter einfach herauszureißen, um das reine Bekenntnis des eingebildeten Katers in Händen zu halten. 

Der kleine Gauß

Die Schüler sollten die Zahlen von 1 bis 50 zusammenzählen. Der kleine Gauß machte es sich einfach: 1 + 2 + 3 + … + 48 + 49 + 50 = (1 + 50) + (2 + 49) + (3 + 48) + … + (25 + 26) = 25*51 = 1250 + 25 = 1275.


In eine Formel gekleidet, ist die Summe(k von 1 bis n, k) = n*(n+1)/2. Für n = 50 kommt genau das raus, was der kleine Gauß raushatte, nämlich 50*51/2 = 25*51.


Sollten die Schüler nur bis 49 zählen, käme dann keine Zahl auf einhalb raus? Nein, 49*50/2 = 49*25. Eine der beiden aufeinanderfolgenden Zahlen im Zähler ist zwangsläufig gerade, weshalb der Bruch immer eine ganze Zahl bleibt. 


Beweisen lässt sich die Summenformel mit vollständiger Induktion. 
Summe(k von 1 bis 1, k) = 1*2/2 = 1, die Verankerung ist korrekt.
Gilt sie für n, dann auch für n+1, denn:
Summe(k von 1 bis n+1, k) = Summe(k von 1 bis n, k) + n+1 = n*(n+1)/2 + n+1 = n*(n+1)/2 + 2*(n+1)/2 = (n*(n+1) + 2*(n+1))/2 = (n+2)*(n+1)/2.


Die sogenannten Dreieckszahlen – die Anzahl in einem gleichseitigen Dreieck angeordneter Punkte – sind solche Summen, weil von der Spitze nach unten gezählt sind es 1 + 2 + 3 + … + n Punkte. 

So ist 253 eine Dreieckszahl, weil … und hier muss man eine quadratische Gleichung lösen:
253 = n*(n+1)/2 <=> 506 = n*(n+1) <=> n^2 + n – 506 = 0
n = -1/2 + Wurzel(1/4 + 506) = -1/2 + Wurzel(1/4 + 2024/4) = -1/2 + Wurzel(2025)/2 = -1/2 + 45/2 = 44/2 = 22.
Sie ist die 22. Dreieckszahl. 

Da 253 somit gleich 22*23/2 ist, ist sie auch gleich 11*23, das Produkt zweier Primzahlen. Wieviele sonst noch weisen diese Eigenschaft auf? Untersuchen wir mal:
T(1) = 1 = 1*2/2 = 1*1
T(2) = 3 = 2*3/2 = 1*3
T(3) = 6 = 3*4/2 = 3*2
T(4) = 10 = 4*5/2 = 2*5
T(5) = 15 = 5*6/2 = 5*3
T(6) = 21 = 6*7/2 = 3*7
T(7) = 28 = 7*8/2 = 7*4
Es scheint sich ein Muster anzudeuten:
T(n) = (1+2*GANZZAHL(n/2))*GANZZAHL((n+1)/2)
Beide Faktoren sind Primzahlen in den Fällen:
T(3) = 6 = 3*2 = 3*4/2
T(6) = 21 = 7*3 = 6*7/2
T(10) = 55 = 11*5 = 10*11/2
T(13) = 91 = 13*7 = 13*14/2
T(22) = 253 = 23*11 = 22*23/2
T(37) = 703 = 37*19 = 37*38/2
T(46) = 1081 = 47*23 = 46*47/2
im Bereich bis T(50).

Das reicht fürs Erste.

Eine erotische Begegnung im Bus (eine Serie von Tweets)

Im Linienbus, der wider die Onlineauskunft kam, sprach mich eine Nachbarin an, mit der ich vor vielen, vielen Jahren mal Zoff hatte. Wenigstens fragte sie höflich, ob sie mich ansprechen dürfe, und ich bejahte. 

Auf gleiche Weise wie früher an der Straßenbahnhaltestelle, als ich es mir schließlich verbeten hatte, was unseren Krach ausmachte, sprach sie allein von Katastrophen, damals dem gemeinen Arbeitsamt, diesmal ihrem gepflegten Vater, dem Tod ihrer Mutter vor 30 Jahren, schlagenden Männern, versagenden Psychologen, es wollte und wollte kein Ende nehmen.

Sie ist nicht dumm, das schätze ich an ihr, Germanistin, erwähnte Desktop Publishing, ohne es als DTP abzukürzen, und Adobe PageMaker (so die Eigenschreibweise). Ich blickte in ihre Augen mit den eigentümlich geschnittenen Lidern, eigentlich kaum welchen, und wachen Äpfeln, versenkte mich oder versuchte es zumindest – ihre Mimik verbarg mir ihre Maske, so wie meine die meine, was mir ganz recht war, da ich mich zerknautscht fühlte.

Nur meine Augen glitten mit zunehmender Zeit zunehmend ab, um mal was anderes zu sehen, vorüberfahrende Fahrzeuge, Gebäude… Ich fürchte, sie bemerkte meine Unaufmerksamkeit.  Zuerst hatte ich eine Haltestelle im Blick, an der sie sicherlich aussteigen würde, da sie eine Einkaufstasche, so wirkte sie mir, mit sich führte. 

Die verging und wir befuhren eine Schleife, da beklagte sie, dass sie ihre Haltestelle gerade verpasst hätte. Es entspann sich eine kleine Diskussion, ob der Bus vor der Ampel noch mal halten würde. Wir waren uns beide einig, dass nicht. Also kündigte sie ihre nächste Ausstiegshaltestelle an. 

Aber auch die verging, ohne dass ich drauf acht hatte. Sie offenbar auch nicht, froh, mich zutexten zu können. Ich fing an, den Verdacht zu hegen, dass sie möglichst lange in diesem Bus mein Ohr in ihrer Hand haben wollte, koste es, was es wolle. So kannte ich sie schließlich auch.

Dass sie ein Psycho ist, weiß ich schon. Diesen Sommer, nein, vorigen kam sie mit dem Fahrrad vorbei an mir und der “schönen Nachbarin”, wie ich sie anonymisierend genannt habe, hielt an und fing an, sie zu beschimpfen: Wie könne sie es wagen angesichts ihres kranken Ehemanns … und erzählte Dinge, die nicht mit denen übereinstimmen, die ebendie schöne Nachbarin mir dargelegt hatte. 

Mich traf es auch: Warum ich so dämlich feixen täte. Erst ärgert man sich, nachdem man Angst gehabt hat, dann vermutet man Eifersucht. Dabei ist unser Bruch wirklich Jahrzehnte her. Heute fragte sie mich nach meinem Alter. Ich antwortete ehrlich (vertat mich nur um ein Jahr), da eröffnete sie ihres und es waren sex Jahre Unterschied. 

Ohne, dass ich und vielleicht auch sie das so meinten, wie ich es hier geschrieben, sprach sie nicht wenig später das Wort Sexualität aus (ein Umstand, der allein mich für sie einnimmt, reden doch heutige Studierende und sogar Profx nur noch von Uni, sich Silben sparend). Männer wollten nur das eine, versprach sie mir – sorry, ich meine, sprach sie zu mir. 

Irgendwas mit, dass ich nie eine Freundin gehabt hätte, damit hatte sie unser heutiges Gespräch fast eröffnet. Einfühlsam meinte sie, ich litte darunter, und empfahl mir Selbsthilfegruppen, auch welche mit nur Männern. Ich meinte, ich leidete nicht darunter und erinnerte mich nicht, ihr das vor Jahrzehnten mal gesagt zu haben – lobte aber hier, oder es war an anderer Stelle, ihr phänomenales (aber in weniger überschwänglichem Wort) Gedächtnis.

Eine zwischenzeitliche, die mir im Augenblick wirklich ein wenig fehlt im Sinne von Sehnen, schönen Brüsten, gutem Kochen, lustigem Humor und frecher Schnauze, nicht zuletzt Bildung, und mit der ich ein schönes Weihnachten verbracht habe mit einem Film mit einem Komiker, dessen Namen ich nicht mehr erinnere, und vor wievielen Jahren, weiß ich nicht mehr, erwähnte ich freilich nicht. 

Als ich sie fragte, ob sie Weihnachten allein verbringen müsse (wir kamen von Corona aus drauf), meinte sie ja. Da habe ich ein wenig Lust bekommen, Weihnachten bei ihr zu verbringen. Weit entfernt wohnt sie ja nicht, wenn wir auch keine Kontaktiermöglichkeiten besitzen (meine damalige Flamme wohnte weit, weit entfernt). Weder weiß ich, in welcher Wohnung genau sie wohnt im Nachbarhaus, geschweige denn ihren Namen, noch hoffentlich sie die meinigen Daten. 

Als der Bus an der Endhaltestelle anhielt, meinte sie, sie müsse sich sputen. Einen Termin zu einer Zahnwurzelbehandlung (ich hörte nicht genau zu) wollte sie wahrnehmen und das wurde knapp. Ich sah sie davonhoppeln, erleichtert, dass sich mein Weg von ihr trennte. Dieses Verhalten oder besser gesagt Empfinden war mir vertraut von früher. Vertrauen ist vielleicht das Schlüsselwort.

Die Kommunikation durch die Masken hindurch war teils störend, teils aber auch entlastend, kam mir in der Situation vor, weil ich scharfe Falten befürchtete von meinen Nasenflügeln zu einem Punkt knapp außerhalb der Mundwinkel. Missmutigen Mund sowieso. (“Zieh nicht so ein Gesicht!”, sagten sie in meiner Jugend.) Dass meine Augen abglitten von den ihren, wenn sie begann mich zu langweilen, daran konnte die Maske auch nichts ändern. 

Sie trug zum Virenschutz Handschuhe, zwei weiße, ich keine. Meine Hände schossen manchmal, aber selten vor, ich weiß auch nicht mehr warum, um zu gestikulieren oder mich an einer gelben Haltestange festzuhalten. Sie schien meine solchen Vorstöße fasziniert zu beobachten.

Jetzt ist die Sache in der Schwebe. Ich bekenne, ich würde den Heiligen Abend gern in ihrer Stube verbringen (so geschmacklos sie sich auch kleidet) und wäre für alles offen, so doof das klingt. Zum Abschied meinte sie, sie würde mich gern bei unserer nächsten Begegnung wieder ansprechen, zeigte mich bereit dafür. 

Diese Spannung, ob noch was draus wird, das macht Erotik aus in meinen vielleicht romantischen, viellaicht auch nicht, Augen. 

Folgen eines Reproduktionsaltersunterschieds

Als die Boulevardpresse aus durchsichtigen Gründen über Karl den Großen als möglichen Vorfahr Armin Laschets spekulierte, begann die Sache der Ahnen, obwohl kein Freytag war (in Wirklichkeit war Donnerstag), mich zu interessieren.

Die erste Frage, die sich mir stellte, war, wieviel Prozent der Gene von Armin Laschet von Karl dem Großen stammen WÜRDEN. Irrtümlich rechnete ich mit der Lebenserwartung, die ich mit 70 Jahren ansetzte, anstelle der Generationendistanz, die man mit grob 30 Jahren ansetzt. Und so kam ich auf 0,0005 Prozent, nämlich 2020 – 800 = 1220. 1220/70 ~= 17,5. 2^17,5 ~= 185364. Davon der Kehrwert ist das Ergebnis.

Als ich meinen Fehler (70 != 30) bemerkte, löschte ich beschämt meinen Tweet. Doch dann begann der Gedankengang. In höheren Kreise mögen Männer mit 70 noch Kinder zeugen, während die jungen, fruchtbaren Gebärerinnen erst ein Drittel so alt sind. 70/3 ~= 23. Das klang nachvollziehbar, plausibel.

Die Frage, die sich mir stellte, war, wenn in Laschets Vorfahrenlinie sich die adligen Männer alle erst mit 70 reproduziert haben, die unterwürfigen Frauen aber alle schon mit 23, wieviel mehr weibliche wie (sagen sie hier, korrekt wäre als) männliche Ahnen hat er dann bis zur Zeit Karls des Großen zurück?

An einem Beispiel klargemacht: Sagen wir, als 10-jähriges Kind bist du auf einer Familienfeier, die keine Geschwister und Onkels versammelt, sondern nur deine Vorfahren. Du siehst dann da deinen Vater, der ist 80, deine Mutter (33), deinen Großvater mütterlicherseits aber nicht, denn der ist mit 103 schon tot, aber deine Großmutter mütterlicherseits (56) sowie ihre Mutter (89). Einen male Vorfahr, drei female treffen wir bei diesem Zeithorizont an. 

Ist nun das Verhältnis 1:3 zu erwarten, wenn das Reproduktionsalter sich verhält wie 3:1? Hätte ich erwartet, kam aber anders.

Oben sind 59/128 ~= 0,46. Schwierige Simulationen und Rekursionen kamen auf einen Wert von 0,465571. Google sei Dank fand sich das in einem PDF als Lösung der Gleichung

für n = 3. Warum das so ist, kann ich nicht beantworten, obwohl alle Simulationen für andere n es zu bestätigen scheinen. Insofern endet dieses herbstliche, sonnige Wochenende unbefriedigt.

Glanz Partikel

Man fragt sich, wie sie auf den Maler Alfred Partikel gekommen ist. Schon ihr erster Roman Pixeltänzer behandelte (u.a.) Künstler der Weimarer Ära (die Maskentänzerin Lavinia Schulz). Urlaub in Ahrenshoop und auf Gedenkstein gestoßen? Aus skandinavistischen Gründen nach Partikel gegoogelt und Wikipedia-Verzweigung gefunden? Oder Hinweis aus ihrer Blase (“Hey, wusstest du, dass Partikel auch Nachname eines Malers?”)? 

Mehrere Stränge sind verflochten im Band:
1. Mit I bis VI betitelte Gedichte behandeln Partikels Lebensstationen: Geburt in Goldap, Ausbildung in Königsberg, Anschluss an eine Künstlergruppe, Malen vor dem Ersten Weltkrieg am Kurischen Haff, Ehe und Verschwinden in Ahrenshoop. 
2. Neun Bilder von Alfred Partikel werden prosaisch beschrieben. Diese sind:
Heuernte
Hafeneinfahrt von Königsberg
Wellen
Fischernetze (Nidden)
Fischstillleben
Boddenwiesen (Ahrenshoop)
Winterliche Ostseelandschaft bei Ahrenshoop
Waldinneres
Stille Landschaft
3. Ein Mann isst einen Hering und verfolgt den Weg (des Herings “Herkunft”, Seite 9, vorletzte Zeile) zurück bis zu seinem Fang. Ebenfalls Prosa. 
4. Acht Gedichte, betitelt Dispersionsstudie A bis G. Acht, nicht sieben, weil die Dispersionsstudie D doppelt vorkommt, einmal ist es ein Sechszeiler auf Seite 24, dann auf Seite 30 ein Einzeiler. Von den Wassern der Postmoderne bespritzt, könnte man das für Absicht halten, ich möchte es indes lieber einem Versehen zuschreiben.
5. Restliche Gedichte, in deren lyrischem Ich ich die Autorin erkennen möchte, weil Leser Betroffenheit spürt. Sie klammern das Ganze und durchschießen es. Dabei ist von einem Ich bloß in dreien der ersten vier Gedichte die Rede, dann eine ganze Weile nicht mehr, erst kurz vor Ende wieder, ehe im letzten schließlich ein Man beschworen wird. Ob das Ich sich in Greifswald oder Ahrenshoop aufhält, kann ich nicht entscheiden.

Ich habe es jetzt so herum sortiert, weil zwar der Name der Autorin über dem Titel und damit Nachnamen des Malers, auch wenn man den ad hoc noch nicht ahnt, steht, aber kleiner gesetzt ist, also der Behandelte doch wichtiger erscheint als die Behandelnde.

Verflochten, weil die Abfolge (jedes Gedicht oder auch Prosastück nimmt eine Seite ein) ungefähr so ist:

Die Farben sind willkürlich. Wobei das Grau für die Gedichte aus Autorinperspektive gut gewählt erscheint, da eine gewisse Melancholie (“Wehmutsräume” auf der letzten Seite) aus ihnen spricht.

Das Verhältnis Lyrik zu Prosa beträgt 25:17, es sind also 60 % des Bandes Lyrik und 40 % Prosa, daher darf er den Untertitel “Gedichte” durchaus führen.

Neben dem Maler Partikel erscheint das Wort in seiner Bedeutung als Teilchen, an die Leser als erstes gedacht haben wird, als er das Cover erblickte. In reiner Form (Seite.Zeile 7.11, 12.5, 13.5, 24.4, 30.1), als Salzpartikel (6.11, 7.5), Staubpartikel (34.8) und zuletzt Erinnerungspartikel (46.11). Als Teilchen auch einmal oder öfter (z.B. “verstreute Schwebeteilchen” auf Seite 6 und “Salzteilchendichte” auf Seite 7).

Die biographischen Gedichte I und II sind beflissen parallel gebaut. In eckigen Klammern, die sonst nie im Band auftauchen, stehen hie der Rechtsaußen Hermann Göring, dort die Linksaußen Käthe Kollwitz einander gegenüber. 

Einmal wird konkrete Poesie bemüht. Das gesperrte Wort “G E F I L T E R T” stellt ein Filtervließ dar, welches nur kleine Festkörper nach unten durchlässt.

Brückenwörter oder -begriffe verschränken die Stränge. So führen die Schwanzflossen von Seite 7 nach Seite 9,  dem Strand von Seite 9 ging auf Seite 5 gestrandet voraus und das gebraten des Herings auf Seite 9 führt zum Bürgermeister auf Seite 10.

Schräge Sonnenstrahlen auf Seite 13 führen zu spitzen Schatten in den langen Fluren der Königsberger Kunstakademie auf Seite 14, auch nach Seite 34, wo durch Glasfenster buntes Licht ins Kirchenschiff fällt, und zu Strahlenbüscheln zwischen den Zweigen auf Seite 36.

Andererseits führen die Konturenkörper und Oberkörper der Bildbeschreibung auf Seite 11 zum Festkörper in der Dispersionsstudie A auf Seite 12, dann zu froststarren Fischleibern auf Seite 13, zum Schiffskörper in der Bildbeschreibung auf Seite 15, dem Schuppenkörperstapel in der Bildbeschreibung auf Seite 29 bis schließlich zum eigenen Körper auf Seite 37, dem nicht vertraut wird, und auf Seite 45 kommt noch einmal der Schuppenkörper vor.

Will man überinterpretieren, spiegelt sich in dieser Gegenüberstellung von Licht und Körper der Übergang von (impressionistischer) Berliner Secession zu (expressionistischer) Neuer Secession wider, die auf Seite 18 im Biogedicht III behandelt wird (“aus Bildern mit Punkten werden Bilder mit Kanten”, “Moderne Wesen sind nicht Eindruck, sondern Ausdruck”).

Weiter mit Brückenwörtern oder -begriffen. Die langen Flure von Seite 14 führen zum viel zu langen Mast auf Seite 15. Die Trennung von Seite 16, dort im Gedicht “Dispersionsstudie B”, kehrt auf Seite 18 wieder, als es um die Neue Secession geht, der Alfred Partikel anscheinend angehörte (“Partikel wird Teil des Ganzen”). Die Gischt von Seite 19 führt zur Seite 41. Den Salzkrusten und -kristallen auf Seite 21 gingen die auf Seite 6 voraus.  Die Brandungzone von Seite 21 kehrt am Ende wieder auf den Seiten 41 und 43. Eingeschmiegte Häuser (im Pixeltänzer schmiegten sich Felder an Autobahnen, aber auch Tanzende aneinander, eine Lebende an eine Statue und Leder um Männerwaden) auf Seite 27 haben Vorgänger auf Seite 25 in rotbedachten Häusern, die sich in grüne Wiesen drücken. Das Schweben auf Seite 29 kam in den Schwebeteilchen von Seite 6 schon vor. Die bläuliche Waschschüssel von Seite 29 kehrt als Emaillebadewanne auf Seite 31 wieder. Das Kräuseln auf Seite 34 (Lippen) hatten wir schon auf Seite 6 (Haut). Der Farn von Seite 38 kehrt in der Bildbeschreibung auf Seite 39 wieder. Dort knarzen Bäumen, zuvor auf Seite 34 taten es Schiffe. 

Auf Seite 37 wartet ein Fisch in der Tiefe. Auf Seite 31 lag der Fisch auf dem Grund der Wanne. “Die Tiefe des Meeres machte ihm jetzt keine Angst mehr.” (Seite 17). “Der Gedanke an eine Tiefe, von der er sich kein Verständnis machen konnte, beunruhigte ihn.” (Seite 9). Auf Seite 34 kreisen Heringsschwärme in der Tiefe. Auf Seite 42 wird ein Netz aus der Tiefe an Bord geholt.

Im Pixeltänzer irritierte oder stach heraus eine Wiedergabe von Paul Hindemiths Opernhandlung der Sancta Susanna von 1922 nach August Stramms Gesang der Mainacht von 1913, wo eine Nonne einer Jesusstatue den Lendenschurz entreißt und sich an ihm reibt. Hier im Band Partikel träumte die Autorin auf Seite 8 davon, von der unkörperlichen Liebe der Austern zu schreiben, “deren Eier und Sperma” sich jenseits der Schalenkörper irgendwo im weiten Meer befruchten.

Die Eingangsfrage klärt der Paratext auf Seite 2 auf. 

Die Pappbroschur bei Reinecke & Voß hat 48 Seiten und kostet 10 Euro. Das macht 20 Cent pro Seite oder 2 Cent für 5 Wörter.

Willy Millowitsch

(Am 16. November 2015 auf einem anderen, inzwischen gelöschten Blog publiziert, hier für einen Verweis wg. Eisenmarkt republiziert. Der Text ist entstanden als Antwort auf die Schreibaufgabe “Ein kleiner Kölner Mythos des Alltags”, maximal 1 Seite, die Hanns-Josef Ortheil gestellt hat im Rahmen seiner Vorlesung “Literarisches Schreiben” im Wintersemester 2015/16 an der Kunsthochschule für Medien Köln. Als einzige meiner zahlreichen Einreichungen fand sie ein wenig Lob in den Augen des Meisters. Am 27. November 2015 meinte er: “Willy Millowitsch sitzt da. Das hat natürlich auch jemand aufgegriffen, hat ganz wunderbar mit der Figur gearbeitet, ich hab den Text jetzt aber nicht da.” Hat er zu mir geblickt? Ich meinte damals, es mir einzubilden, bin mir aber heute nicht mehr so sicher, zumal, wenn ich den Text jetzt wiederlese. Der Barbour-Shop im Hintergrund der Fotos war eine glückliche Fügung, da solche Jacken in Krachts Faserland prominent, das Ortheil in seiner Vorlesung am 13. November, da er auch die Aufgabe gestellt hat, so eingeordnet/-nordet hat: “Erweckungstexte. Z.B. Krachts Faserland. Auch Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970). Machte Mut, wieder zu erzählen. Beides sind auch große, bleibende Texte. Auch Goetz’ Irre. Große Texte, die andere in Bewegung versetzen. Th. Bernhard, ‘Literaturniedermacher’. Heerscharen von Nachahmern. Wird es Eingang in Kanon finden? Schwer zu beantworten.” Ich zitiere aus meinen Aufzeichnungen, nicht Ortheils Rede.)

Samstag, 14.11.2015

Um halb neun auf dem menschenleeren Eisenmarkt. Einige feuchte Stellen hier und da und es riecht nach Urin. Einzig ein Bierfahrer belädt seinen Transporter.

Vor nicht allzu langer Zeit ist das Bronzedenkmal weggezogen aufs Gertrudenplätzchen. Dort sitzt Willy auf einer Seite der Bank, den Arm auf der Lehne, und lädt einen zweiten Körper ein, sich in die Leerstelle zu schmiegen und ein Selfie zu knipsen.

Bis zehn Uhr aber sah ich niemand in solcher Pose. Zu früh, vielleicht auch zu frisch, das Wetter nun endlich herbstlich. Doch aus der Erinnerung lässt sich ein Sommertag hervorholen, an dem solches geschehen.

Kann ich erkennen, ob die Touris den Dargestellten erkennen, so sie ihn überhaupt kennen? Keinen Namen trägt die Gestalt, nur der Stifter Harry Owens vom Traumtheater Salome ist genannt. Höchstens aus dem Platznamen nun, nachdem der alte Ort hinter dem Hotel drei Häuser von Brinkmann entfernt aufgegeben worden ist, kann Tourist auf den Menschen schließen. Sofern er den Gemeinten nicht erkennt am Schnäuzer, den großen Augen hinter den Brillengläsern, der Frisur.

Selbst nie in seinem Theater auf der Aachener Straße gewesen, nie ihn auf der Bühne gesehen, nur im Fernsehen. Fünf Jahre nach seinem Tod die Exequien für seine Witwe Gerda besucht, weil die Exgeliebte mit einer Tochter der Familie in der Schule befreundet war. Nicht Mariele, bekannt aus Funk und Fernsehen, sondern der Theaterleiterin Katarina Eisenlohr.

Bei dieser Veranstaltung im Dom bezeichnete der Prediger ihn als Inkarnation des himmlischen Jerusalems. Hö? Wie kann kalter Stein lebendiges Fleisch sein? Die intellektuelle Unredlichkeit schreckte mich einmal mehr ab von der Priesterkaste, diesen Männern des Worts, die dann doch so schludrig damit umgehen. Männer wirklichen Geists, die Worte wägen – ich dachte da an Benedikt XVI. z.B. – würden das nicht tun, dachte ich.

Außergewöhnliche Geräusche in den Klagenfurttexten 2020

Außergewöhnlich an den Geräuschen sollte sein, dass sie nicht gängig sind wie z.B. Handyklingeln, welches Protagonierende zwar vielleicht erschreckt wie am Ende von Piringer ein klingelton loskreischt oder inmitten von Freudenthaler es schrillt, worauf sie begreift, dass ihr Telefon läutet, welches sonst immer auf lautlos gestellt… Solcherlei wie auch eine lärmende Schulklasse bei Schönherr nicht, sondern ungewöhnlichere. 


Ungewöhnlich war, dass mir Komparatist die Vergleichssache im Vorfeld schon eingefallen war und ich unbedingt an ihr festhalten wollte. Kann ins Wasser fallen, klar. Besser nicht ankündigen. Erleicherung daher, als Ramadan gleich jemanden sich ein neues, schallendes Lachen zulegen ließ. Das ein außergewöhnliches Geräusch par excellence, da nicht wir Lesenden, sondern Komparsen der Erzählung das Geräusch ungewöhnlich finden, ungewohnt, also Freunde oder Bekannte von Ben. 


Klagenfurter Komparatistik ein Hobby schon länger. 2012 ergaben sich Tiere, damals zusammengefasst: “Viele Tiere heuer in Klagenfurt. Hunde, Katzen, eine Katzenliebe- statt Beziehungskiste, Frösche, ein Reh im See, Echsen, ein Krokodil, viele Vogelsorten, auch ein Kolibri.” 2019 Kleidungsstücke, eine ganze Spanne von Schultens’ sattblauem Messgewand bis hin zu Josts Panoptikum. Einmal Verkehrsmittel, aber nur in den Videoporträts. Heuer sollten es also außergewöhnliche Geräusche sein, ein topic, bei dem ich wie Pawlows Hund unweigerlich an J. K. Rowlings (sorry) phantastische Tierwesen denken musste und es (fass!) nicht loslassen konnte, seitdem ich es, ich glaube, auf einem kleinen Waldspaziergang ausbaldowert.  


Und wenns nicht passt, wird es passend gemacht. Bei Piringer, wie gesagt, war mir das Handyfinale nicht schrill genug, aber im Videoporträt bietet er das außergewöhnlichste Geräusch schlechthin: den Urknall. Soviel schummeln muss man dürfen. Ein metaphorisches Geräusch allein, denn wo noch keine Luft war als Schallleiter, kann nichts knallen, aber ein bärenstarkes Bild doch. [Begriffsherkunft klären!]


Also hier von mir bewertet die außergewöhnlichsten Geräusche dieses Jahr in Klagenfurt:


14. “Auf, auf, sprach der Fuchs zum Hasen, hörst du nicht die Hörner blasen?” (Schubert)
13. “Die Esel auf seinem Grundstück schrien in der Nacht” (Hieronymi)
12. “Bis heute habe ich dieses tiefe, kehlige Grunzen im Ohr, wenn ich an Ziva denke.” (Schönherr)
11. “Das zarte Zirpen der beiden Männchen steigerte sich zu minutenlangem Tirilieren mit immer verwegener aufsteigenden Portamentos und mit melodischen Variationen, in denen bisweilen Lachmöwenrufe und Ohrwürmer von Zarah Leander anklangen.” (Senkel)
10. “und das huhn schnurrt wie eine katze” (Westermann)
9. “Eine Sirene sei meist weiblich, sagte Manuel, ein Mischwesen, das durch seinen Gesang die vorbeifahrenden Schiffe anlocke, um die Seeleute ins Verderben zu führen.” (Kureyshi)
8. “einer Frau, die sagte, sie gehe nur Yoga machen wegen der fünf Minuten, die sie am Ende in Ruhe daliegen könne.” (Herbst)
7. “Ruhig, nur Rauschen im Ohr.” (Krusche)
6. “das hohe F” (Leitner)
5. “dass du’s Knarren, Knachsen hörst in der plötzlichen Stille” (Haider)
4. “Ich höre aus der Ferne ein leises Klacken, Metall auf Metall, ich kann das Geräusch nicht einordnen, es wiederholt sich auch nicht” (Schutti)
3. “legte sich ein neues, schallendes Lachen zu” (Ramadan)
2. “Ein Ton ist in der Luft, so hoch und fein, dass ich nicht sagen kann, woher er kommt, ob er überhaupt da ist.” (Freudenthaler)
1. “Am Anfang war der Urknall.” (Piringer)